Technologieforum Laser Photonik

Neuronale Netze in optischen Fasern

Professor Dr. Mario Chemnitz und Dr. Bennet Fischer vom Jenaer Leibniz-Institut für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) haben mit einem internationalen Team eine Technologie entwickelt, die den Energiebedarf Künstlicher Intelligenz deutlich reduzieren könnte. Den Forschern zufolge besitzt sie das Potenzial für energieeffiziente Rechensysteme, die auf umfangreiche elektronische Infrastruktur verzichten.
Sie nutzen dabei die Wechselwirkungen von Lichtwellen in Glasfasern, um ein fortschrittliches künstliches Lernsystem zu schaffen. Das Besondere an ihrem Ansatz: Statt auf traditionelle Computerchips mit Tausenden elektronischen Bauteilen zu setzen, nutzen sie eine einzige optische Faser. Sie kann die Arbeit verschiedener neuronaler Netze übernehmen – und das bei Lichtgeschwindigkeit. „Mit einer einzigen optischen Faser bilden wir die Rechenleistung verschiedener neuronaler Netzwerke nach”, erläutert Mario Chemnitz, Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe Smart Photonics am Leibniz-IPHT. „Dieses System macht es möglich, enorme Datenmengen in Zukunft schnell und effizient zu verarbeiten, indem es die einzigartigen physikalischen Eigenschaften von Licht nutzt.“

Ultrakurze Lichtpulse tragen die Information

Eine genauere Betrachtung der Funktionsweise offenbart, wie das Mischen von Lichtfrequenzen Informationen überträgt: Daten, seien es Pixelwerte von Bildern oder Frequenzkomponenten einer Audiospur, werden auf die Farbkanäle ultrakurzer Lichtpulse geprägt. Diese Lichtpulse transportieren die Informationen durch die Faser, wo sie auf vielfältige Weise miteinander kombiniert, verstärkt oder abgeschwächt werden. Neue Farbkombinationen am Ausgang der Faser ermöglichen nun Vorhersagen über die Art oder den Kontext der verarbeiteten Daten. So verraten bestimmte Farbkanäle beispielsweise, welche Objekte in Bildern zu sehen sind oder ob die Stimme einer Person Anzeichen für eine Krankheit erkennen lässt.
Ein typisches Beispiel für maschinelles Lernen ist die Erkennung verschiedener Ziffern aus Tausenden Handschriften. So nutzten Chemnitz, Fischer und das Team vom Institut National de la Recherche Scientifique (INRS) in Québec/Kanada ihre Methode, um Bilder von handgeschriebenen Einzelzahlen auf Lichtsignale zu prägen und durch die Glasfaser zu klassifizieren. Die Veränderung ihrer Farbzusammensetzung erzeugt dabei am Ende der Faser ein einzigartiges Farbspektrum – einen Fingerabdruck für jede Ziffer. Nach dem Training kann die Maschine selbst Ziffern neuer Handschriften mit deutlich geringerem Energieaufwand analysieren und erkennen.
„Man kann sich vereinfacht vorstellen, dass Pixelwerte in unterschiedliche Intensitäten der Grundfarben übersetzt werden – das heißt, je nach Wert etwas mehr Rot oder weniger Blau“, erläutert Mario Chemnitz. „In der Faser vermischen sich diese Grundfarben dann zum ganzen Spektrum des Regenbogens. Der Ton unseres gemischten Lila im Regenbogen beispielsweise verrät uns nun viel über die Daten, die unser System verarbeitet hat.”
Das Team hat seinen Ansatz im Modellversuch auch zur Diagnose von COVID-19-Infektionen durch Stimmproben getestet, wobei die Trefferquote die bisher besten digitalen Systeme übertraf. Chemnitz: „Wir sind die Ersten, die zeigen konnten, dass ein derart farbenfrohes Wechselspiel von Lichtwellen in optischen Fasern eine direkte Klassifikation von komplexer Informationen ermöglicht – ohne weitere intelligente Software.“
Mario Chemnitz ist seit Dezember 2023 Juniorprofessor für Intelligente Photonische Systeme an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit seiner Rückkehr vom INRS in Kanada 2022, wo er als Postdoc arbeitete, leitet Chemnitz ein internationales Team am Leibniz-IPHT in Jena. Mit Unterstützung durch die Nexus-Förderung der Carl-Zeiss-Stiftung erforschen er und sein Team die Möglichkeiten der Nichtlinearen Optik. Ihr Ziel: die Entwicklung intelligenter Sensorsysteme und Mikroskope ohne Computer sowie Verfahren für das Green Computing.

YouTube-Video zur Entwicklung der neuronalen Netze in optischen Fasern:

Quelle: Wiley

 

Originalpublikation:
[B. Fischer, M. Chemnitz et al.: Neuromorphic computing via fission-based broadband frequency generation. Adv. Sci. 2023, 10, 2303835, DOI: 10.1002/advs.202303835]

 

Quelle: www.leibniz-ipht.de

Bild: Sven Döring/Leibniz-IPHT



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