
10 März KI nutzt Bildfehler für bessere Mikroskopie
Ein Team von Forschenden schlägt vor, die chromatische Aberration – ein optisches Phänomen, das üblicherweise die Bildqualität mindert – gezielt zu nutzen, um mit Standardmikroskopen qualitativ hochwertige Bilder zu erzeugen. Einsatz findet die neue Methode in der quantitativen Phasenmikroskopie (QPI), eine weit verbreitete Mikroskopievariante zur Untersuchung von Zellen. Erste biomedizinische QPI-Anwendungen gibt es laut den Forschenden bereits. Dennoch müssen sowohl Aufnahmegeschwindigkeit als auch -qualität noch optimiert werden, damit der QPI in der Medizin der Durchbruch gelingt, erklären die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Görlitzer Center for Advanced Systems Understanding (Casus) am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) sowie vom Imperial College und University College London, die gemeinsam an der Verbesserung der QPI arbeiten.
QPI – Leistungsfähig aber teuer
Gefärbte oder anderweitig gekennzeichnete biologische Proben liefern wertvolle Erkenntnisse. Nachteilig für eine breite Anwendung in der klinischen Diagnostik ist jedoch, dass das Verfahren zeitaufwendig ist und hochpreisige Ausrüstung und Verbrauchsmittel erfordert. Daher konzentrierte sich die Forschung in den vergangenen Jahren verstärkt auf markierungsfreie Mikroskopiemethoden wie die QPI. Hierbei ist nicht nur die Intensität des von der Probe absorbierten oder gestreuten Lichts von Interesse. Mithilfe der Streuungsinformationen erfasst die QPI zudem, wie die Probe die Phase des durch sie hindurchtretenden Lichts verschiebt – eine Veränderung, die in direktem Zusammenhang zu ihrer Dicke, ihrem Brechungsindex und anderen strukturellen Eigenschaften steht. Auch die QPI erfordert eine recht teure Ausrüstung, ganz im Gegensatz zur rechnergestützten QPI.
Die alternative: rechnergestützte QPI
Eine der bekanntesten rechnergestützten QPI-Ansätze basiert auf der Lösung der Intensitäts-Transport-Gleichung (TIE). Diese Differentialgleichung ermöglicht die Berechnung eines Bildes der Probe basierend auf den aufgezeichneten Phasenänderungen. Der Ansatz lässt sich nach Angaben der Forschenden leicht in bestehende optische Mikroskopiesysteme integrieren und liefert qualitativ hochwertige Bilder. Allerdings erfordert die TIE-Methode oft mehrere Aufnahmen mit unterschiedlichen Fokusabständen, um Artefakte zu eliminieren. Das Arbeiten mit Fokus-Stapeln ist jedoch zeitaufwendig und technisch anspruchsvoll, sodass diese Art der TIE-basierten QPI in einer klinischen Umgebung oft nicht praktikabel ist.
Chromatische Aberration als Mittel zum Zweck
„Unser Ansatz basiert auf ähnlichen Prinzipien wie die TIE, benötigt aber aufgrund einer geschickten Kombination aus physikalischem Wissen und generativer KI nur eine einzige Aufnahme“, erklärt Professor Artur Yakimovich, Leiter einer Casus-Nachwuchsgruppe. Die Information über die Phasenverschiebung, die durch die biologische Probe verursacht wird, stammt nicht von zusätzlichen Aufnahmen mit anderen Fokusabständen. Stattdessen kann mithilfe der sogenannten chromatischen Aberration ein Fokus-Stapel aus einer einzigen Aufnahme generiert werden. Die meisten Linsensysteme eines Mikroskops können die Wellenlängen des (polychromatischen) weißen Lichts nicht perfekt auf einen einzigen Konvergenzpunkt bündeln – ein Nachteil, den nur hochspezialisierte Linsen ausgleichen können. Dies bedeutet beispielsweise, dass rotes, grünes und blaues (RGB) Licht leicht unterschiedliche Fokusabstände aufweisen. „Indem wir die Phasenverschiebungen dieser drei Wellenlängen mit einem üblichen RGB-Detektor getrennt erfassen, lässt sich ein durchgehender Fokus-Stapel erstellen, der eine rechnergestützte QPI ermöglicht“, erklärt Yakimovich. „Wir machen also den Nachteil zu einem Vorteil.“
KI führt zum Durchbruch
Gabriel della Maggiora, Doktorand am Casus, ergänzt: „Es muss eine große Herausforderung gelöst werden, wenn man chromatische Aberrationen für die QPI nutzbar machen möchte: Der Fokusabstand zwischen rotem und blauem Licht ist sehr gering.“ Die Standardlösung der TIE liefert in diesem Fall keine aussagekräftigen Ergebnisse. „Dann kamen wir auf die Idee, Künstliche Intelligenz zu nutzen. Diese Idee erwies sich als entscheidend.“ Maggiora erklärt: „Nachdem ein generatives KI-Modell mit einem frei zugänglichen Datensatz von 1,2 Millionen Bildern trainiert wurde, war es trotz des sehr begrenzten Dateneingangs in der Lage, die Phaseninformationen zu ermitteln.“
Überprüfung an klinischen Proben
Das Team griff nach eigenen Aussagen auf ein generatives KI-Modell zur Bildverbesserung zurück, das es vergangenes Frühjahr vorgestellt hatte: das Conditional Variational Diffusion Model (CVDM). Mit diesem Modell waren sie in der Lage, rechnergestützte QPI auf der Grundlage chromatischer Aberrationen zu verwirklichen. Sie validierten ihren auf generativer KI basierenden Ansatz beispielsweise mit einem herkömmlichen Hellfeldmikroskop, das mit einer handelsüblichen Farbkamera ausgestattet war, um mikroskopische Bilder realer klinischer Proben aufzunehmen. Bei der Analyse roter Blutkörperchen in einer Probe menschlichen Urins konnte die Methode die charakteristische Donut-förmige Struktur dieser Zellen sichtbar machen – ein Ergebnis, das eine andere, etablierte rechnergestützte TIE-basierte Methode nicht liefern konnte, so die Forschenden. Ein zusätzlicher Vorteil war das nahezu vollständige Fehlen von Wolkenartefakten in den mit dem neuen QPI-Verfahren berechneten Bildern.
Originalpublikation:
[G. della Maggiora, L. A. Croquevielle, H. Horsley, T. Heinis, A. Yakimovich, Single Exposure Quantitative Phase Imaging with a Conventional Microscope using Diffusion Models, presented at the 39th Annual Conference on Artificial Intelligence by the Association for the Advancement of Artificial Intelligence (AAAI) and accepted for publication in the Proceedings of the 39th AAAI Conference on Artificial Intelligence, preprint available: https://arxiv.org/abs/2406.04388]
Quelle: www.hzdr.de
Bild: Blaurock/Casus