13 Aug Blick in einen Computerchip auf 4 Nanometer genau
Hochauflösenden, dreidimensionale Bilder vom Inneren eines Computerchips erstellten Forschende aus der Schweiz mit Partnern aus den USA mittels eines zerstörungsfreien Verfahrens auf Basis der Röntgentomografie. Erstmals gelangen damit Aufnahmen moderner Computerchips mit einer Auflösung von 4 Nanometern – das ist ein Weltrekord, so die Kooperationspartner aus dem Paul Scherrer Institut PSI, der EPFL, der ETH Zürich und der University of Southern California. Statt für Aufnahmen in diesem Größenbereich auf derzeit unmöglich herzustellende Linsen zu setzen, nutzten sie ein Computerverfahren, das viele Einzelbilder zu einer hochauflösenden Abbildung vereint: die Ptychografie. Für die Experimente wurde das Röntgenlicht an der Synchrotron-Lichtquelle Schweiz SLS am PSI eingesetzt.
Zwischen Röntgentomografie und Elektronenmikroskopie
In Reinräumen werden heute mit hochautomatisierten Optikanlagen nanometergroße Leiterbahnen in Silizium-Rohlinge geätzt. Schicht um Schicht wird auf- und wieder abgetragen, bis der fertige Chip herausgestanzt und verbaut werden kann. Die Charakterisierung und Abbildung dieser Strukturen ist schwierig.
Rasterelektronenmikroskope erreichen eine Auflösung von wenigen Nanometern und eignen sich daher gut, um die winzigen Transistoren und Metallverbindungen abzubilden. Allerdings lassen sich damit nur zweidimensionale Bilder der Oberfläche erzeugen. „Die Elektronen gelangen nicht tief genug ins Material“, erklärt Mirko Holler, Physiker an der SLS. „Um daraus dreidimensionale Bilder zu rekonstruieren, muss der Chip schichtweise untersucht und dabei jede Schicht einzeln im Nanometerbereich abgetragen werden – ein sehr aufwendiges und heikles Verfahren, und der Chip wird dabei zerstört.“
Dreidimensionale und zerstörungsfreie Aufnahmen lassen sich hingegen mit der Röntgentomografie erzeugen, denn Röntgenstrahlen können Materialien deutlich besser durchdringen. Die Probe wird dabei gedreht und aus verschiedenen Winkeln mit Röntgenlicht durchleuchtet. Je nach Struktur der Probe wird die Strahlung unterschiedlich absorbiert und gestreut. Ein Detektor registriert das austretende Licht und ein Algorithmus rekonstruiert daraus das fertige 3-D-Bild. Aber: „Hier haben wir das Problem mit der Auflösung“, erklärt Mirko Holler. „Es existieren derzeit keine Röntgenlinsen, die diese Strahlung für die Abbildung solch winziger Strukturen bündeln können.“
Nicht gebündelt, sondern verschoben
Die Lösung nennt sich Ptychografie. Bei diesem Verfahren wird der Röntgenstrahl nicht im Nanometerbereich gebündelt, sondern die Probe wird im Nanometerbereich verschoben. „Unsere Probe wird so bewegt, dass der Strahl einem genau vorgegebenen Raster folgen kann – ähnlich einem Sieb“, erklärt Holler. „An jedem Rasterpunkt wird dann jeweils ein Streubild aufgenommen.“ Der Abstand zwischen den einzelnen Rasterpunkten ist kleiner als der Durchmesser des Strahls, sodass sich die abgebildeten Bereiche überlappen. So kann genug Information registriert werden, um das das Bild der Probe mithilfe eines Algorithmus hochauflösend zu rekonstruieren. Der Rekonstruktionsprozess ist eine Art virtuelle Linse.
Neue Ansätze für höchste Auflösungen
Den neuen Auflösungsrekord erreichten die Partner durch kürzere Belichtungszeiten und einen neuen Algorithmus. Als sie die Belichtungszeit reduzierten, waren die Beugungsbilder schärfer. Zwar hatten sie nun scharfe Bilder, allerdings enthielten sie durch die kurze Belichtungszeit zu wenig Information, um den ganzen Computerchip zu rekonstruieren.
Um das Problem zu lösen, ergänzten die Forschenden ihr Setup mit einem schnelleren Detektor, der ebenfalls am PSI entwickelt wurde. Damit nahmen sie pro Rasterpunkt viele Bilder mit einer kurzen Belichtungszeit auf. „Ein enormer Datenberg“, ergänzt der beteiligte Physiker Tomas Aidukas. Wenn man die Einzelbilder summiert und übereinanderlegt, erhält man wieder das ursprüngliche, verschwommene Bild – äquivalent zur langen Belichtungszeit.
„Stellen Sie sich den Röntgenstrahl als einen Punkt auf der Probe vor“, erklärt Aidukas. „An diesem Punkt nehme ich nun ganz viele Einzelbilder auf.“ Da der Strahl wackelt, wird sich jedes Bild leicht verändern. „In manchen Bildern stimmt die Position des Strahls überein, in anderen weicht sie ab. Anhand dieser Veränderungen können wir die tatsächliche Position des Strahls verfolgen, die durch die unbekannten Schwingungen verursacht wird.“ Als Nächstes galt es, die Datenmenge zu reduzieren. „Unser Algorithmus vergleicht die Strahlpositionen der einzelnen Bilder“, erklärt Aikdukas weiter. „Wenn die Positionen übereinstimmen, kommen sie in dieselbe Gruppe und werden dort summiert.“ Dieses Gruppieren erhöht den Informationsgehalt der niedrig belichteten Bilder. So gelingt es den Forschenden, aus der kurzbelichteten Bilderflut ein scharfes Ergebnis mit hohem Lichtanteil zu rekonstruieren.
Weitere Anwendungsfelder denkbar
Beim Ptychografieverfahren handelt es sich um einen grundlegenden Ansatz, so die Forschenden, der nicht nur auf Computerchips begrenzt ist, sondern auch für andere Proben, beispielsweise in den Material- oder Biowissenschaften, eingesetzt werden kann.
Originalpublikation:
[High-performance 4 nm resolution X-ray tomography using burst ptychography, Tomas Aidukas, Nicholas W. Phillips, Ana Diaz, Emiliya Poghosyan, Elisabeth Müller, A.F.J. Levi, Gabriel Aeppli, Manuel Guizar-Sicairos, Mirko Holler, Nature, 31.07.2024, DOI: 10.1038/s41586-024-07615-6]
Link zu einem YouTube-Video über das Verfahren
Quelle: www.psi.ch
Bild: Tomas Aidukas / PSI