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Migrations­analyse von Immunzellen beschleunigt

Immunzellen wandern durch die Gewebe des Körpers, um beispielsweise Infektionserreger zu bekämpfen oder nach sich entwickelnden Krebserkrankungen zu suchen. Am falschen Ort können sie jedoch Schäden anrichten: Infiltrieren etwa Neutrophile Granulozyten – weiße Blutkörperchen –Tumore, verschlechtert das oft die Prognose für Patienten. Betroffene könnten daher von Arzneimitteln profitieren, die das Einwandern verhindern.
Bisher ließ sich dieses Migrationsverhalten nur mit herkömmlicher Videomikroskopie untersuchen. Forschende der Universität Duisburg-Essen (UDE) sowie vom Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften (ISAS) haben nun ein Mikroskop für die Hochdurchsatzanalyse von Arzneimittelsubstanzen entwickelt.
Bei der herkömmlichen Videomikroskopie beobachtet ein einzelnes Objektiv die Bewegung von Zellen unter dem Mikroskop – eine Probe nach der anderen, der Reihe nach. Mit ihrem neuen Mikroskop jedoch können die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen 64 und künftig 384 Proben gleichzeitig untersuchen. Ihr Mikroskop mit dem Namen ComplexEye haben sie in Nature Communications vorgestellt.
„Wenn man wüsste, wie sich Neutrophile steuern lassen, würden sich viele Erkrankungen besser behandeln lassen“, sagt Prof. Dr. Matthias Gunzer, Direktor am Institut für Experimentelle Immunologie und Bildgebung der UDE, der auch die Abteilung Biospektroskopie am ISAS leitet. Aber um solche Forschungsarbeiten voranzutreiben, fehlte es bisher an Untersuchungsmethoden, vor allem für die kleinen, schnell wandernden Immunzellen. Gunzer und sein Team konnten nun mit der Technik des ComplexEye das Tempo bei der Migrationsanalyse drastisch erhöhen.

60-mal schneller als herkömmliche Mikroskope

„Wir konnten in unseren Testläufen die Proben rund 60-mal schneller untersuchen, als es mit herkömmlicher Videomikroskopie möglich gewesen wäre“, erklären Zülal Cibir und Jaqueline Hassel von der UDE. Um den Einfluss existierender Arzneimittelwirkstoffe auf die Migration von Neutrophilen zu untersuchen, haben die Essener Forschenden rund 1000 Wirkstoffe aus einer Substanzbibliothek des Lead Discovery Centers Dortmund getestet. Für die anschließende Analyse programmierten die KI-Experten am ISAS eine passgenaue Software. Mithilfe des KI-unterstützten ComplexEye-Systems identifizierten die Forschenden dann innerhalb von nur vier Tagen 17 Substanzen, die die Beweglichkeit der humanen Neutrophilen stark beeinflussen können.

ComplexEye: Weitere Diagnoseverfahren möglich

Zunächst sind die Erkenntnisse von grundlagenwissenschaftlichem Wert, aber die Forschenden hoffen, dass sich hieraus viele neue therapeutische Möglichkeiten ergeben. „Mit einigen kleineren Anpassungen lässt sich das ComplexEye auch für andere Zellen anwenden, um beispielsweise Krankheitsverläufe zu beobachten und dabei Frühwarnzeichen für eine Verschlimmerung von Infektionen wie drohende Blutvergiftungen zu erkennen“, so Immunologe Gunzer.

Prof. Dr. Matthias Gunzer (rechts, mit Team): Frühwarnzeichen für eine Verschlimmerung von Infektionen erkennen. Bild: Prof. Matthias Gunzer, Uni Duisburg-Essen

 

Über das ComplexEye

Um das ComplexEye zu entwickeln, haben Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät, der Elektro- und Informationstechnik der UDE und des Dortmunder ISAS zusammengearbeitet. „Die Herausforderung war, miniaturisierte Mikroskope zu bauen, beweglich zu machen und so dicht zu einem System zusammenzufügen, dass sie Videos von jeder einzelnen der 384 Kammern einer Well-Platte, einer gängigen Untersuchungskassette, aufnehmen können“, sagt Dr. Reinhard Viga aus dem Fachgebiet Elektronische Bauelemente und Schaltungen der UDE. Der Elektroingenieur leitete den technischen Aufbau des neuen Mikroskops. Wie das Facettenauge einer Fliege bewegt sich das ComplexEye unter der Well-Platte und macht gleichzeitig mit allen Linsen Aufnahmen im Abstand von acht Sekunden. Diese Aufnahmen fügen die Forschenden anschließend zu einem Zeitraffervideo zusammen. Die darin sichtbaren wandernden Zellen verfolgen die Forschenden anschließend mithilfe von KI. In Zukunft soll das ComplexEye um weitere Linsen erweitert werden, sodass dann noch mehr Aufnahmen möglich sind.

Originalpublikation:
[Z. Cibir et al.: ComplexEye: a multi-lens array microscope for high-throughput embedded immune cell migration analysis; Nat Commun 14, 8103 (2023). DOI: 10.1038/s41467-023-43765-3]

 

Quelle: www.isas.de

Bild: Prof. Dr. Matthias Gunzer, Universität Duisburg-Essen



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