22 Nov Wechselwirkungen von Partikeln an der Zelloberfläche
Kann es sein, dass wichtige Wechselwirkungen im Zellinneren oder an der Zelloberfläche bei den meisten Messungen verborgen bleiben? Diese Frage beschäftigt ein Team um den Laser- und Bio-Physiker Professor Dr. Alexander Rohrbach von der Universität Freiburg seit Jahren. Er und sein Mitarbeiter Dr. Felix Jünger untersuchen verschiedene Wechselwirkungen von Partikeln im Größenbereich von Bakterien, also wenige Mikrometer, und sogar von Viren, rund 0,1 µm, an verschiedenen Zelloberflächen. Mithilfe verfeinerter Lasermesstechnik und mathematischer Analysemethoden ist es ihnen nach eigener Aussage nun gelungen, bisher verborgene Wechselwirkungen sichtbar zu machen. Sie können künftig dazu beitragen, besser zu verstehen, wie verschiedene Partikel an Zellen binden – seien es Viren, Bakterien, Feinstaub, Zellreste oder mizellenumhüllte Wirkstoffe.
Visko-Elastizität bestimmt Verhalten
Eine entscheidende Rolle für die Wechselwirkungen spielen die viskoelastischen Eigenschaften von Zelloberflächen. Als Beispiel nennt Rohrbach eine Stärkelösung: „Rührt man eine ausreichende Menge Maisstärke in eine Wasserwanne und geht darauf schnell, kann man tatsächlich auf der Flüssigkeit laufen. Man spürt nur einen elastischen Untergrund. Läuft man aber langsam oder bleibt stehen, so sinkt man ein und spürt die Flüssigkeit um die Füße.“ Je nach der wirkenden Zeitskala ist die Lösung also elastisch oder viskos.
Biologische Zellen bestehen aus kleinsten molekularen Strukturen. Sie alle reagieren bei Druck oder Zug teilweise elastisch, Energie wird also gespeichert, und teilweise viskos, Energie geht also verloren. Jede einzelne Zelle ist ein viskoelastisches System und bestimmt damit die viskoelastischen Eigenschaften etwa von Muskel- oder Bindegewebe. Fast jede Zelle hat eine eigene hochspezialisierte, extrazelluläre Matrix: ein Geflecht aus filamentartigen Molekülen, aus feinen Fasern und dünnen fingerartigen Ausstülpungen. Diese komplexe Zelloberfläche beeinflusst die Aufnahme von Partikeln wie Viren, Bakterien oder Feinstaub. „Die extrazelluläre Matrix unterscheidet bei der Signalweiterleitung nicht nur nach Größe und Form und Oberfläche der Partikel, sondern auch, wie schnell oder langsam thermisch diffundierende Partikel an die Oberfläche stoßen“, erläutert Rohrbach. „Das heißt, sie fungiert als räumliches und zeitliches Sieb für mechanische Signale.“
Optisches Kraftmikroskop
Mit einem sogenannten photonischen Kraftmikroskop, einer Kombination aus optischer Laserpinzette und einem interferometrischen 4-Quadranten-Detektionssystem führte Bio-Physiker Jünger in zahlreichen Experimenten zunächst ein Mikrometer kleine Kügelchen an lebende Zellen heran. Das als Sonde dienende Partikel ist dabei im Laserfokus gefangen, macht aber dennoch kleine Zitterbewegungen, sogenannte thermische Positionsfluktuationen. Diese Bewegungen werden dreidimensional eine Million Mal pro Sekunde gemessen – und das bei einer Präzision von wenigen Nanometern.
Durch die Analyse der Sondenfluktuationen konnten die Forscher beispielsweise wichtige Eigenschaften der perizellulären Matrix (PCM) bei Darm-Epithelzellen bestimmen, die aus maschenartigen Hyaluronsäuresträngen besteht. „Wir konnten die Dicke der PCM von 350 nm allein auf der Mikrosekundenskala messen, auf längeren Zeitskalen war die PCM schlicht unsichtbar“, sagt Rohrbach. Die Elastizität der PCM von nur circa sechs Pascal bei Millisekunden-Dynamiken, aber von circa 20 Pascal bei Mikrosekunden-Dynamiken könne beispielsweise erklären, warum kleine und hochdynamische Viren physikalisch gesehen von der PCM eher elastisch abprallen – größere und weniger dynamische Bakterien dagegen eher in die PCM einsinken, eben weil diese auf größeren Zeitskalen weniger elastisch ist.
Originalpublikation:
[Jünger, F., Rohrbach, A.: Making Hidden Cell Particle Interactions Visible by Thermal Noise Frequency Decomposition. In: Small (2023). DOI: https://doi.org/10.1002/smll.202207032]
Quelle: uni-freiburg.de
Bild: Alexander Rohrbach / Uni Freiburg